
Ich bin genervt von der Schweizer Marken-Botschafterin Christa Rigozzi. Kleinkredite bei Cembra, Schmuck bei SOKOLOV, Möbel bei Delta, Shopping im Pilatusmarkt, Motorräder bei Ducati,
Schokolade bei Frey … es gibt nichts, wofür sie keine Werbung macht. Wenn alle Marken mit dem gleichen Testimonial werben, sind dann die Images weiterhin trennscharf voneinander zu unterscheiden?
Gemeinsam mit Copywriter Hannes Müller diskutieren wir über den Glauben an Marken und die Sehnsucht des Menschen nach neuen Göttern, die ihnen sagen, wo es
langgeht:
@HannesMueller
Sag mal, kannst du mir sagen, für welche Schweizer Produkte und Marken Christa Rigozzi keine Werbung macht? Kleinkredite bei Cembra, Schmuck bei SOKOLOV, Möbel bei Delta, Shopping im Pilatusmarkt, Motorräder bei Ducati, Schokolade bei Frey und dann noch die Moderation zahlreicher TV-Formate. Vor wenigen Wochen sagte die ehemalige Miss Schweiz (2006) in 20 Minuten: «Jeder Auftrag, den ich mache, muss zu mir passen. Ich will authentisch sein. Das ist mein Konzept.» Mag sein, dass diese Vielfalt das Konzept von Frau Rigozzi ist und Schokolade, Schmuck und Shopping zu ihr passen. Ich frage mich jedoch, ob der Imagetransfer noch in die Gegenrichtung funktioniert. Wenn alle Marken mit dem gleichen Testimonial werben, sind dann die Images weiterhin trennscharf voneinander zu unterscheiden? Oder sind die Schweizer so verliebt in ihre Tessiner Wonder-Woman, dass sie sie auf allen Kanälen sehen wollen? Was denkst du als Kommunikationsfachmann über diese mediale Omnipräsenz?
@PeterGlassen
Das gefällt Frau Rigozzi sicherlich. Und sie hat mein volles Verständnis, wenn sie jede Marke ergreift, die sich mit ihr schmücken will. Aus Sicht der Marke finde ich es traurig. Sehr traurig. Dieser Erfolg der Tessiner Bellezza zeugt von profillosen, unqualifizierten Markenverantwortlichen oder von inspirationslosen, denkfaulen Kreativen in den budgetverantwortlichen Werbeagenturen. Christa Rigozzi hängt da draussen aber nicht alleine an Plakatwänden. Es ist ein munterer Reigen mit altgedienten Olympioniken, aktuellen Schneekanonen, ehemaligen Wunschschwiegersöhnen und anderen Vorzeigeschweizern.
Mit der Authentizität meint es die von dir angesprochene Litfasssäulen-Prominente wohl ernst. Und es ist auch korrekt. An ihrer Echtheit ist nicht zu zweifeln. Aber genau darin steckt das Dilemma für die Marke, für welche sie ihr Gesicht hinhält. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Markenwerte von Cembra extrovertiert, egozentrisch und gekünstelt lauten. Oder die von Frey, Ducati oder dem Pilatusmarkt. Die Wirkung bei den Konsumenten – sofern sie Christa Rigozzi kennen – kann durchaus positiv sein. Die junge Frau löst sicherlich beachtliche Sympathie aus. Nur das Produkt, für das sie wirbt, wird kaum erkannt oder ist mit grösster Wahrscheinlichkeit schnell wieder vergessen. Ein Handicap, das sich zu allem Überfluss auch noch mit der stets bejammerten Fülle von Substitutionsgütern verstärkt.Der Einheitsbrei wird immer dicker und ungeniessbarer.
Auf einen Aspekt der Promi-Werbung bin ich gestern eher zufällig gestossen, als mich spät nachts am Bahnhof Frau Rigozzi im Auftrag von Cembra – ja, ich erinnere mich noch an ihren Auftraggeber – von der gegenüberliegenden Plakatwand anlächelte.
In der Konsequenz weitergedacht, investieren die Auftraggeber nicht in ihre eigene Marke, sondern in jene des jeweiligen Stars. Somit gehören die von dir aufgezählten Unternehmen und viele Hunderte mehr zur edlen Gruppe der Mäzene, die mit ihrem Geld die Karriere eines Künstlers, Sportlers oder Showstars wohlwollend und grosszügig unterstützen. Selbst wenn deren Stern längst am Verblassen ist. Edel, edel.
Doch eines würde mich interessieren, Peter. Woher kommt dieser Gefallen an Primadonnen, Stars und Sternchen? Hast du mir aus kunsthistorischer Sicht eine Erklärung?
@HannesMueller
Gerade habe ich in Berlin einen Vortrag zu genau diesem kulturellen Phänomen gehalten. Seit seiner Existenz ist der Mensch bestrebt, der Welt, die ihn umgibt, einen Sinn zu geben: Sei es die Entstehung des Universums, der Lauf der Gestirne, der Wechsel von Tag und Nacht oder das Geborenwerden und Sterben eines jeden Menschen. Im mythologischen Denken wird all das dem Wirken von einem oder mehreren Göttern zugeschrieben. Was in unserer aufgeklärten Zeit vielleicht verwirrend klingt, gilt in Gemeinschaften mit einem oder mehreren Göttern als absolut wahr. Zum Beispiel erklärten sich die Germanen die Bahnen von Sonne und Mond mit dem Wirken der Kinder des Riesen Mundilferi. Sie wurden vom Kriegsgott Odin zu Wagenlenkern am Himmelszelt gemacht und ziehen seitdem als Sol (Sonne) und Mani (Mond) über den Himmel. Oder nehmen wir den Ursprung der Welt: Die afrikanischen Bambara-Stämme beschreiben diesen als einen grossen Wirbelsturm, in dem der Urgeist ist. Dieser lässt eine kleine Kugel auf die Erde fallen, aus der sich der erste Baumstumpf und das Wasser bilden. Und schauen wir uns den christlichen Glauben an, so wird alles Sein auf der Welt mit dem Wirken eines Gottes erklärt.
In Mythos und Religion wird eines sichtbar, nämlich die Fähigkeit des Menschen zu glauben. Dies gilt auch im christlichen Bereich in der Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen, der an Gott zuversichtlich glauben soll, ohne eines Beweises zu bedürfen. Ikonen, Andachtsbilder, Heiligenfiguren, Reliquienschreine und heilige Schriften sind u.a. ein Mittel, sich seinem Gott hinzuwenden bzw. ihm ganz nah zu sein. Der Mensch verspricht sich Gnade, Schutz und Orientierung in einer oft ungewissen Welt.
Christa Rigozzi und ihre anderen männlichen und weiblichen Kollegen sind in gewisser Weise ein Pendant zu den traditionellen Göttern. Nun sehe ich schon, wie du die Augen verdrehst, weil du nach dem Göttlichen bei Frau Rigozzi suchst. Aber wahrscheinlich glaubst du nur nicht fest genug. Denn bei den Andachtsbildchen von Instagram hat unsere Marken-Ikone eine Fan-Gemeinde von 16’000 Followern bzw. «Gläubigen». Immerhin!
Was diese überhöhten Testimonials tun und sagen, ist für viele Menschen genau wie im traditionellen Mythos absolut wahr. Und je verlorener der Kunde im Rauschen des Konsums ist, umso mehr sucht er Halt und Orientierung in Personen, die ihm sagen, wo es langgeht. Selbst wenn diese ihm nur die Wahl des «richtigen» Kredits (Cembra) empfehlen. Doch diese Wahrheit hat selbstverständlich ihre Grenzen. Der Mensch ist fehlbar, wie der Sturz einst umworbener Marken-Götter zeigt. Viele Jahre war Boris Becker der Werbepartner von Mercedes. Beide Marken profitierten vom gegenseitigen Imagetransfer des Erfolgs. Da war der Wimbledon-Sieger auf der einen und die Premium-Wagenbauer aus Stuttgart auf der anderen Seite. Mehrere Jahre warb der Ex-Tennisstar für den Autokonzern. Dann sorgte sein turbulentes Privatleben immer mehr für mangelnde Glaubwürdigkeit, bis Mercedes schliesslich die Reissleine zog und den Vertrag kündigte. Die Stuttgarter sagten zwar, dass sie den Schritt nicht kommentieren würden, doch man kann davon ausgehen, dass der Lack von Boris Becker im wahrsten Sinne des Wortes ab war. Der «gute Stern auf allen Strassen» sollte nicht beschmutzt werden.
Apropos Schmutz! Es gibt auch andere Strategien im Umgang mit gefallenen Marken-Göttern. NIKE zeigte das im Fall seiner Werbe-Ikone Tiger Woods. Nach dem Bekanntwerden zahlreicher privater Affären des Golfstars und einem öffentlichen Reuebekenntnis veröffentlichte NIKE 2010 einen Werbespot, in dem der Golfer stumm und mit betretenem Blick in die Kamera schaut. Aus dem Off ist die Stimme seines 2006 verstorbenen Vaters Earl Woods, Oberstleutnant der United States Army, zu hören, der mit strenger Stimme fragt: «Tiger, I am more prone to be inquisitive, to promote discussion. I want to find out what your thinking was; I want to find out what your feelings are. And did you learn anything?». Es folgt die Blende auf das Markenzeichen des Konzerns. Für mich als Medienwissenschaftler entstehen viele spannende Fragen: Stellt hier «Gottvater» seinen Sohn zur Rede? Ist NIKE der Heilige Geist? Zumindest schien NIKE aus der öffentlichen Busse seines Helden mehr Nutzen ziehen zu können, als sich vor dessen Sünden zu fürchten.
Sag @hannesmueller, wie hältst du es mit der Religion?
@PeterGlassen
Ich bekenne hier und in aller Blog-Öffentlichkeit: Ich glaube an die Kraft der Marke. Diese Frage tiefer zu beantworten, würde den Blog entgleisen lassen. Dies möchte ich unseren Lesern und uns selbst zuliebe nicht provozieren. Deshalb reduziere ich deine Frage auf die Erkundigung nach dem Glauben. Im Sinn unserer Diskussion über Stars, Helden und Götter meine ich von mir behaupten zu können, nicht von ihnen ge- oder verführt zu werden. Auf Marken bezogen habe ich hingegen einen sehr ausgeprägten Glauben.