Marke und Medien

Mare und Medien, Peter Glassen und Hannes Müller über die Marke als Leuchtturm in stürmischen Zeiten

 

Wie nie zuvor wird der Untergang der Marke in den Blogs und Sozialen Medien heraufbeschworen. Die neuen digitalen Medien würden Marken überflüssig machen – heisst es. Wer diesem Ruf folgt, läuft Gefahr, mit seiner Marke Schiffbruch zu erleiden. Dabei ist es für Markenverantwortliche wesentlich, den Unterschied zwischen «Marke» und «Medien» zu verstehen. Die Marke ist und bleibt das Navigationssystem, welches die Medien auf Kurs hält:

 

@PeterGlassen

Lieber Peter. Ein Schweizer Finanzinstitut hat mich vor einiger Zeit gebeten, einen Gastbeitrag für seinen Blog zu schreiben. Der Blog gehört zu einer Initiative, die KMU für die digitale Zukunft fit trimmen will. Dementsprechend sollte mein Artikel die Markenführung in digitalen Kanälen besprechen. Dieser Aufgabe war ich nicht gewachsen.

In meinem Verständnis macht es keinen Unterscheid, ob eine Marke in der analogen Welt auftritt oder in der digitalen. Die Werte, welche ein Brand verkörpert, sind unabhängig von der Bühne, auf der er sich dem Publikum präsentiert. Im Gegenteil. Der Medienkonsum in unserer Gesellschaft ist so vielfältig wie zu keinem Zeitpunkt zuvor. Die Chance, dass dieselbe Person auf unterschiedlichen Kanälen mit einer Marke Kontakt hat, ist sehr gross. Und zudem erwünscht. Es wäre also markentechnisch sehr ungeschickt, wenn mein Brand unterschiedliche Signale senden würde. Das Ziel einer konsequenten und charakterfesten Markenführung wäre unerreichbar. Eine starke, verlässliche Marke eine Utopie.

Meinen Gastbeitrag habe ich nach Rücksprache mit der zuständigen Redaktorin abgeändert. Ich habe versucht, den Marken-Verantwortlichen bei den KMU den Wert eines starken Brands näher zu bringen. Inwiefern habe ich aus deiner Sicht der Wissenschaft richtig reagiert?

 

@HannesMueller

Lieber Hannes. Im Sinne der Markentechnik bist du wahrlich ein Jünger Hans Domizlaffs. Du hast in deinem Blogartikel ganz richtig erklärt, dass gerade in der digitalen Kanalvielfalt die Marke ein Leuchtturm mit starkem Fundament sein kann, der sowohl dem Kunden als auch dem Markeninhaber im wild wogenden Social Media Meer Orientierung gibt. Und in den Kommentaren erfährst du ja durchaus positiven Zuspruch.

 

Als Medienwissenschaftler lege ich mich gern argumentativ mit in die Riemen, denn auch ich verfolge mit Staunen die aktuelle Diskussion, ob die Marke in der digitalen Zukunft dem Untergang geweiht ist. Es gilt hier tatsächlich, ein paar begriffliche Felsen und gedankliche Untiefen zu umschiffen, um nicht auf Grund zu laufen.

Beginnen wir mit den Begriffen Marke und Medium. Marken sind Sinnstifter. Technische Medien hingegen sind eine Verbindung zwischen Sender und Empfänger, die sich gegenwärtig durch die Digitalisierung grundlegend wandeln. Das Marketing erlebt dadurch einen extremen Wandel der Kanäle und Instrumente: Einseitige Kommunikation wird zum Dialog zwischen Marke und Kunde, Zielgruppen können punktgenau identifiziert und angesprochen werden (Social Media Marketing) und auch der Kontrolle des Erfolgs von Marketingmassnahmen öffnen sich ganz neue Dimensionen (den Datenschutz lasse ich jetzt mal im Beiboot).

 

Wenn also die Vertreter des «Neuen Marketings» über die Zukunft der Marke orakeln, dann erinnert mich das eher an einen Haufen übermütiger Piraten, die Schiff und Meer nicht voneinander trennen können. Sie sollten sich lieber von der Marke führen lassen als zu meutern. Die Marke ist das Navigationssystem, welches das Schiff auf Kurs hält. In Bezug auf den sinnsuchenden Menschen ist die Marke der Sinnstifter in den Weiten des Meeres bzw. der digitalen Kanäle.

Aber genug der maritimen Metaphern! Bevor ich dir etwas zur Komplementaritätstheorie alter und neuer Medien erzähle, interessiert mich etwas anderes: Es ist nicht zu leugnen, dass durch die Explosion der medialen Kanäle die Verteilung des Budgets zu einer Herausforderung wird. Welche strategischen Ratschläge gebt ihr ganz besonders den KMU? Giesskanne oder strategische Zielgruppenanalyse?

 

@PeterGlassen

«Die Hälfte des Geldes, das ich für Reklame ausgebe, ist verschwendet; der Ärger ist dabei, dass ich nicht weiss, welche Hälfte es ist», soll sich einst der amerikanische Warenhausbesitzer John Wanamaker beklagt haben. Oder war es Henry Ford? Oder gar David Ogilvy? Letzterer eher nicht. Denn er wusste, wie wichtig es ist, sich an die richtigen Leute zu wenden, um gehört zu werden oder etwas verkaufen zu können. Mit anderen Worten: Hast du je eine Vorlesung gehalten, ohne zu wissen, wer im Saal sitzt und was die Leute interessieren könnte? Das Giesskannenprinzip war früher nicht effektiv. Und ist es in der heutigen Zeit noch viel weniger. Früher bespielten wir vielleicht vier, fünf oder wenig mehr Kanäle. Heute hat sich die Zahl vervielfacht.

Um aus dem investierten Werbegeld ein Maximum an Effekt herauszuholen, ist eine sehr sorgfältige strategische Analyse von Markenwerten, Angebot, Zielgruppen – oder heute häufig Buyer Persona, Verhalten, Entscheidungsprozessen und Kanälen unerlässlich. Wer darauf verzichtet, könnte ebenso bei stürmischem Herbstwetter auf dem Gartentisch Geldscheine zählen. Meine Antwort auf deine Frage ist also ein klares und fettes Ja für eine minutiöse Auseinandersetzung mit Sendern, Empfängern und Kanal. Unabhängig davon, ob Einmannbetrieb, KMU oder Konzern.

 

Mit der sauberen Planung ist jedoch erst eine Teilstrecke auf dem Weg zum effizienten Einsatz des Werbebudgets gemacht. Nach dem Motto «Schalte, lerne und optimiere» kann dank der Messbarkeit der getroffenen Massnahmen und der Möglichkeit von sogenannten integrierten Kampagnen die Wahl der Kanäle laufend optimiert werden. Wirksame Medien und Botschaften können ausgebaut, unwirksame über Bord geworfen werden. Mit der Lancierung einer Werbeinitiative ist die Arbeit also nicht mehr abgeschlossen, wie das früher eher der Fall war, sondern sie wechselt in die Phase des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Ähnlich der Markenbildung, deren Entwicklung ebenfalls eine dauerhafte Aufgabe ist. Ich hoffe, meine Ausführungen sind soweit verständlich. Wie ist das jetzt aber mit der Komplementaritätstheorie alter und neuer Medien.

 

@HannesMueller

Wie bereits gesagt, nicht die Marken, sondern die Medien befinden sich gegenwärtig in einem gewaltigen Umbruch. Die digitale Revolution verändert seit ein paar Jahren die «alten Medien» und deren Nutzung. Und es entsteht dadurch bei vielen der Eindruck, dass die neuen Medien die alten Medien ersetzen: E-Mail statt Brief, YouTube statt Fernseher, E-Reader statt Buch usw. Die Komplementaritätstheorie besagt hingegen: Kein gesellschaftlich etabliertes Medium wird von anderen Medien, die im Laufe der Zeit hinzukommen, vollkommen ersetzt oder verdrängt. Diese Annahme stammt vom Journalisten und Chefredakteur der Nürnberger Zeitung Wolfgang Riepl. Die Rieplsche Annahme erlebte in den 90er Jahren eine Renaissance, um den beginnenden digitalen Wandel zu erklären und sie wird bis heute von Medienpraktikern und -theoretikern heftig diskutiert.

 

Riepl wollte eigentlich nur sagen, dass alte Kulturtechniken menschlicher Kommunikation in immer neuen technischen Medien fortbestehen. Sicher hat der Computer eine Vielzahl der alten Kommunikationsmedien (Fax, Telefon, Fernseher, Brief) aufgesogen und scheinbar ersetzt. Und doch werden mit dem Computer weiterhin Nachrichten von A nach B übermittelt, Dialoge geführt und es wird mittels Computer nach Herzenslust geplaudert. Wie man tagtäglich bei Facebook – dem neuen globalen Dorfplatz, auf dem mehr getratscht wird als auf jedem traditionellen Marktplatz – sehen kann.

 

Die Geschichte der Menschheit ist von Medienumbrüchen geprägt. Immer sind mit neuen Medien gesellschaftliche Veränderungen verbunden: Die beweglichen Lettern im Buchdruck von Johannes Gutenberg beschleunigten die Reformation. Die Laterna Magica, eine erste Form des Beamers, wurde etwas später von der katholischen Kirche zur Gegenreformation genutzt. Adolf Hitler missbrauchte das Radio (Volksempfänger) zur Verbreitung seiner Propaganda. Konrad Zuse gab mit dem ersten frei programmierbaren Computer Z3 den Anstoss für die digitale Revolution der Gegenwart. Und nicht zuletzt hofften viele im Frühjahr 2011, dass die sozialen Medien die demokratische Entwicklung im «Arabischen Frühling» unterstützen würden. Schon an diesem kleinen Abriss der Mediengeschichte wird deutlich, mit wie vielen Hoffnungen, Erwartungen, Chancen, Risiken und Katastrophen neue Medien verbunden sind.

Um auf den Anfang unserer Unterhaltung zurückzukommen: Mögen sich die Kommunikationskanäle/Medien der Menschen auch ändern, so bleiben die Kulturtechniken der Kommunikation und Sinnstiftung bestehen. Marken sind Geschichtenerzähler, Dialogpartner, Wertevermittler und Sinnstifter und sie suchen sich gegebenenfalls einfach neue Kanäle – ganz gleich, ob sie analog oder digital sind.

 

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