Marke und Heimat

Marke und Heimat, Peter Glassen und Hannes Müller über Markenidentitäten auf internationalen Märkten

 

Der Wunsch nach Herkunft und Heimat sind starke Trends unserer Zeit. Aber was bedeutet es für Marken, wenn sie die Grenzen des eigenen Landes überschreiten und auf fremden Märkten Fuss fassen wollen? Müssen sie sich dem Domestic Bias anpassen oder macht sie gerade die ausländische Identität attraktiv? Der Copywriter Hannes Müller und ich sprechen über Ostalgie, Swissness und Tanzbären im Flamenco-Rock:

 

@HannesMueller

Hannes, dass ich in der ehemaligen DDR aufgewachsen bin, weisst du ja. Im letzten Sommer war ich in meiner alten Heimat  (den neuen Bundesländern) unterwegs und habe eine Entdeckung gemacht, die an unser Thema Marke und Kultur vom letzten Mal auf ungewöhnliche Weise anknüpft. An der Scheibe eines Eiscafés an der Ostsee sah ich diesen Schriftzug: DDR Softeis. Bevor ich dir mehr über meine Gefühle und Gedanken zu dieser «speziellen Marke» erzähle, würde mich interessieren, was dir als Schweizer Werber und Markenstratege durch den Kopf geht.

@PeterGlassen

Hoppla. Da sehnt sich wohl jemand mächtig zurück unter die realsozialistische Käseglocke. Kann mir gut vorstellen, Peter, dass DDR Softeis abendfüllende Filme vor deinem geistigen Auge abspulen lässt. Als Schweizer Werber und Markenstratege ziehe ich den Hut. Die Leute, die diese Marke reanimieren, haben verdammt viel Mut. Die Chance auf eine erfolgreiche Wiederbelebung ist intakt. Denn der Wunsch nach Herkunft und Heimat sind starke Trends unserer Zeit und die Retrowelle sorgt vielerorts für erfrischende Umsätze. Aus Marketingsicht scheint nichts gegen DDR Softeis zu sprechen. Als Mitglied einer auf Konsens aufbauenden Gesellschaft bin ich jedoch skeptisch: Triumphiert bei diesem Vorhaben nicht der Opportunismus über die Verantwortung? Erhalten mit diesem Marken-Relaunch  nicht schwelende Konflikte frischen Sauerstoff und unterstützen einen möglichen Flächenbrand? Aus dieser Optik vermisse ich bei den Initianten das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Öffentlichkeit. Denn – eine Marke kann aus meiner Sicht nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn sie ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nachkommt. In aller Konsequenz umgesetzt mündet das in Brand Sacrifice. Ein Trend, an dem sich die Verantwortlichen von DDR Softeis auch hätten orientieren können.

 

@HannesMueller

Ja, Hannes, es lief ein abendfüllender Film vor meinem geistigen Auge ab, als ich den Schriftzug sah, jedoch kein lustiger. Denn als Teilnehmer des realsozialistischen Experiments (immerhin 20 Jahre) blicke ich heute sehr kritisch auf diese Zeit zurück. Es mag sein, dass die ethischen Werte dieses Staates bei seiner Gründung kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sehr hoch waren. Doch im Verlauf der Jahre wurde daraus eine Diktatur, die den Menschen die Freiheit nahm und kritische Stimmen systematisch unterdrückte. Aber wir schreiben ja hier keinen Geschichtsblog, sondern beschäftigen uns mit Marken. Also ...

Du magst recht haben, dass der Eiscafé-Inhaber ein Opportunist ist. Er muss keine Verantwortung für die untergegangene DDR übernehmen, geschweige denn mit seinem Softeis in der Muschelwaffel ein Opfer bringen («Brand Sacrifice»). Nein, er knüpft an den vermeintlich süssen Geschmack einer Erinnerung vieler Ostdeutscher an, die gern auch Ostalgie genannt wird. Eine Sehnsucht nach einer bestimmten Lebensweise und Alltagsgegenständen der DDR, die mit positiven Werten besetzt sind. Ganz offensichtlich ist das Positive der alten Kultur  noch so stark verankert, dass deren negative gesellschaftlichen und ökonomischen Zustände ausgeblendet oder schöngeredet werden. Du kannst hier im Osten dieser Ostalgie mit rationalen Argumenten nicht so ohne Weiteres begegnen. Im Gegenteil, du würdest massiv auf Ablehnung stossen, denn die Identifikation mit der Vergangenheit ist stark. Kann man das einer ganzen Generation vorwerfen (u.a. meinen Eltern), wenn sie damit aufgewachsen ist?

Und damit sind wir wieder bei unserem letzten Blogartikel angekommen: Marke und Kultur. Konsumierten die Ostdeutschen nach der Wende hauptsächlich westliche Marken (z.B. Test the West), um das «Verpasste» nachzuholen, kommt es schon seit einiger Zeit zu einer Rückbesinnung auf vertraute DDR-Marken. Dies sind ostdeutsche Marken, die entweder die Wende überlebt haben oder die von grossen westdeutschen Konzernen aufgekauft wurden. In der Markenforschung nennen wir solches Konsumentenverhalten Ethnozentrismus  bzw. Domestic Bias, die Bevorzugung heimischer Marken aus patriotischen Gründen sowie eine Minderbewertung ausländischer Marken. Es braucht also eine genaue Analyse des fremden Zielmarktes und dessen Kultur, um zu klären, ob die Werte der eigenen Marke dort akzeptiert werden.

 

Am Beispiel von Lidl Schweiz kann man gerade sehr schön sehen, dass selbst grosse ausländische Marken gezwungen sind, den Domestic Bias anzuerkennen, wenn sie ausserhalb der Landesgrenzen erfolgreich sein wollen. Aber zuvor eine eine Frage an dich: Hast du noch ein anderes Markenprojekt erlebt, bei dem es wichtig war, die kulturellen Werte eines anderen Landes zu berücksichtigen?

@PeterGlassen

Ohne den Geschmack des DDR Softeis' oder seiner Waffel je gekostet zu haben: Ich bin immer wieder erstaunt, wie kurzsichtig wir Menschen doch sind. Und wie unterschiedlich wir mit Stolz auf die Herkunft umgehen. Womit ich eine elegante Brücke zur Antwort auf deine Frage schlagen möchte. Für einen unserer international tätigen Kunden haben wir eben einen neuen Auftritt entwickelt. Er basiert auf den eindrucksvoll positiven Erfahrungen mit der Schweizer Herkunft im globalen Geschäft und verbindet sie mit dem Unternehmen bzw. seinen Produkten. In einer ersten Konzeptionsphase haben wir Herkunft und Produkt in einem Gebilde verschmolzen. Dazu bedienten wir uns «billigster» Schweizer Klischees wie Schokolade, Taschenmesser und anderem. Vom eigenen Mut verlassen, suchten wir nach anderen Umsetzungen, die uns nicht so platt und ausgelutscht vorkamen. Weiter verunsichert unterzogen wir beide Konzepte einem Pretest. Wir legten sie den Kollegen aus unserem Agenturnetzwerk +imagepartners und einigen Personen in Asien vor. Das Resultat war eindeutig. Ob Europa oder Asien: Die einfachen, in unseren Augen banalen Klischees machten das Rennen und transportierten unsere Botschaft am deutlichsten. Sie wurden auch als sehr sympathisch und wertig empfunden. Wir reaktivierten unseren Anfangsmut und präsentierten den neuen Ansatz unserem Kunden. Nach anfänglichem, uns vertrautem Zögern und der Gewissheit über den Ausgang des Pretests unterstützte auch der Kunde unseren Vorschlag. Ist diese Zurückhaltung gegenüber Insignien der eigenen Kultur eine weitere Eigenart der Schweizer? Oder haben wir Töchter und Söhne Tells ein gestörtes Selbstverständnis? Oder trifft man dieses Phänomen auch andernorts? Benennt die Wissenschaft dazu auch einen Bias?

@HannesMueller

Nein, Hannes, die Wissenschaft kennt keinen Bias, der dieses spezielle Phänomen beschreibt. Aus meiner Perspektive wird in deinem Beispiel der Patriotismus der Schweizer sichtbar, die keine Insignien der Nation brauchen. Da bin ich mal gespannt, was dieses einig Volk zum deutschen Lidl-Harddiscounter sagt, der bis 2016 seinen 102 Schweizer Filialen einen Totalumbau für insgesamt 30 Millionen verpasst. Die Läden sollen hochwertiger daherkommen. Raus mit dem Billig-Discounter-Look, rein mit dem gehobenen Schweizer Chic. In Frauenfeld kann man sich das in einer Testfiliale bereits ansehen. Der Schweiz-Chef von Lidl meint dazu: «Seit dem Markteintritt im Jahr 2009 hat das Unternehmen gelernt und sich den Bedürfnissen der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten angepasst.» Hoffentlich wird diese Swissness -Initiative von den Eidgenossen nicht als Mogelpackung enttarnt.

 

@PeterGlassen

Da wird die Glaubwürdigkeit aber mit Lidl getreten. Hat das Management der deutschen Billigkette noch nicht mitbekommen, dass es uns Eidgenossen in der Regel missfällt, wenn sich z.B. ein Nichtschweizer in unserer Mundart versucht? Ist ja etwa so fehl am Platz, wie einem Tanzbären einen Flamenco-Rock anzuziehen. Ich hoffe, der Ärger über die Anbiederung ist stärker als der Sparwahn und lässt die Kassen schweigen.

 

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